Reisen
Wahrscheinlich ist meine Lust am Reisen und improvisierten Unterwegs-Sein eine frühe Prägung. Ab Beginn der sechziger Jahre wurden die drei kleinen Kinder samt Gepäck und einer spartanischen Campingausrüstung in ein kleines Auto gepackt und es ging nach Süden, da war ein Meer, da war es warm und das Leben billig.
Ab Frankreich gab es keine Autobahnen mehr, wir waren meist drei Tage unterwegs, um die nordspanische Mittelmeerküste zu erreichen. Für Hotels oder andere Herbergen reichte das Familienbudget nicht, übernachtet wurde oft unter freiem Himmel irgendwo in der Pampa. (Oder in einem Leihzelt auf einem Campingplatz: Ich erinnere mich an ein ungeheures Gewitter mit Wolkenbruch in solch einem Zelt, bei dem es kaum noch dunkel wurde und der Boden des Zeltes überflutet wurde). Nichts war vorgeplant außer diesem Ziel: dieser Süden und das schöne, einfache Leben dort.
Auf dem Weg dorthin war eben mit Überraschungen und Schwierigkeiten zu kämpfen, so habe ich das schon sehr früh erlebt und für selbstverständlich gehalten. Und: ein sogenanntes „Logbuch“ wurde geführt von meinem Vater, mit allen Daten und wichtigen Gegebenheiten dieser Expedition. Auf diese Weise wurde der Reisebericht eine Konstante, ein innerer roter Faden im Unwägbaren: Was auch geschah an Unerwartetem – dieses selbst und seine Bewältigung hinterließen eine Spur im Logbuch, so war sie geworden und ist nun gewesen, diese ungewisse Zukunft. Dabei war die „Bewältigung“ für mich als Kind einfach dadurch gegeben, dass das Logbuch weitergeführt wurde.
Irgendwann, nach der Überquerung eines hohen Gebirges (frühe Worte aus dieser Zeit: Port Bou, Andorra) waren wir da, wo man „Buenos Dias“ sagt und „Gracias“, wo Gemüse und Fleisch, Wein und Brandy spottbillig war und die drei blonden Kinder von der Bevölkerung freundlich bestaunt wurden. Dies umso mehr, weil meine Mutter ein pechschwarzer Typ war, sich von den Einheimischen in Nichts unterschied und für sich selbst (nicht ohne Stolz) eine Herkunft von den Zigeunern vermutete.
Die Costa Brava war damals touristisch wenig erschlossen. Anfangs wurde das Zelt wild aufgeschlagen, in einem Pinienhain in der Nähe eines Dorfes, am Meer. Während des damaligen Franco-Regimes patouillierte abends gelegentlich die paramilitärische Guardia Civil den Strand entlang, zu zweit mit ihren seltsamen Helmen. Meinem plauderfreudigen Vater gelang es immer, sie im Gespräch willkommen zu heißen und ein Schlückchen Vino gemeinsam zu trinken. „’asta la Vista!“ hieß es dann zum Abschied und manchmal: “ a Manjana!“
Als junger Erwachsener habe ich dann viele Reisen in Südeuropa gemacht, improvisierend unterwegs mit einem groben Ziel, manchmal mit Freund oder Freundin, oft auch allein. Aus dem „Logbuch“ wurde das „Reisetagebuch“, das umso differenzierter wurde, je mehr ich allein war. Später gingen die Reisen auch weiter weg, mit dem Flugzeug, einem Gerät, dem ich immer mit sehr gemischten Gefühlen begegne.
1970 – 2010:
in all den Jahren verschiedene kürzere Reisen in nahezu alle (damals west-) europäischen Länder inklusive Jugoslawien außer England und Norwegen, zumeist in einem Zeitrahmen von 4-5-Wochen. (Abend am Stromboli, Besuch in Ganagobie, Käuzchenrufe, Nächtliches Umsteigen)
1974:
zweimonatige Fahrt per Anhalter von Südfrankreich aus die Mittelmeerküste entlang bis nach Griechenlands Norden, Rückreise über das Festland, das heute wieder „Balkan“ genannt wird. (Nassos)
Dezember 1986 bis Mai 1987:
Reise nach Kathmandu (Nepal), von dort aus als Einzelreisender nach Tibet bis nach Lhasa. Vier Wochen Aufenthalt in Lhasa, dann Rückkehr nach Nepal. Weiterreise nach Kreta, von dort aus nach Ägypten und nach Israel. In den Ländern jeweils mehrere Wochen unterwegs.(Gipfel und Oasen, Sekretär und Dealer)
Sommer 1989:
Madagaskar: von der Hauptstadt Antanarivo durch den Regenwald zur Hafenstadt Tamatave an der Ostküste, zu Fuß unterwegs auf der ehemaligen Pirateninsel St. Marie (Tamatave, Krabbennacht)
Sommer 1990:
Kurz nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ als erste Straßenmusiker in Osteuropa unterwegs: Prag, Warschau, St. Petersburg, Petrosavodsk. Zusammen mit Dorothea Tübinger und einem Handwagen für Gepäck und Instrumente. Sendung mit Interview und eigenen Songs von Radio Moskau, aus einem Studio in Petrosawodsk mit einem leicht verstimmten Flügel. (Die Stromleitung)
Winter 1991/92:
sechsmonatige Reise über die Kanarische Inseln: Fuerteventura, Teneriffa, La Palma, abseits der Touristenwege, oft zu Fuß. Gegen Ende der Reise Bau einer Hütte an einem abgelegenen Strand im Norden Fuerteventuras; Baumaterial nur Lavasteine und Strandgut. Acht Wochen in dieser Hütte. (Das Weinglas, Ein Mann)
Winter 1996/97:
für fünf Monate in Südindien unterwegs; Reiseprojekt dabei, ohne Pläne und Entwürfe zu reisen. Stationen: Mumbai, Pune, Goa, Badami, Bangalore, Mysore, Kochi, Varkala, Amritapuri, Pondicherry, Tiruvannamalai (Arunachala). Ich reiste bewusst ohne Kamera, ein Objektiv sollte mir nicht die Wahrnehmung verstellen. Aber einige kleine Aquarelle sind entstanden; ein paar davon sind hier zu sehen. Über diese Reise ist ein Buch erschienen: „Ohne Pläne – Reisebericht aus Südindien“,
Ein Kapitel daraus wird hier zu einer Reisegeschichte: Pradakshina.
Mai 2004:
Ostküste USA, Boston bis Florida (Real Campers)
Winter 2005/06:
für vier Monate unterwegs in Südspanien (Alicante, Tarifa, Andalusien), Nordafrika (Tanger) und Südportugal (Tavira), danach für einen Monat in Sri Lanka (Westküste)
Winter 2007/08:
erneute zweieinhalbmonatige Reise nach Sri Lanka (Westküste, südliches Inland). Arbeit an dem Indienbuch „Ohne Pläne“.